Überwachung der Blasenkeimstabilität und Blasenbildung

Optischer Ansatz zur Untersuchung von Gushing

Überwachung der Blasenkeimstabilität und Blasenbildung
AutorInstitution
Roman WernerLehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, TUM
Lukas WieseLehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, TUM
Ivan PribecLehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, TUM
Ehsan FattahiLehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, TUM
Dominik GeierLehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, TUM
Prof. Thomas BeckerLehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, TUM
Datum 19. März 2020
Ausgabe1
Jahrgang88
Seitenzahl30-33

Das „Wildwerden“ karbonisierter Getränke, wie es von Prof. Narziß [1] beschrieben wird, ist Gegenstand von mittlerweile fast 90 Jahre andauernden Forschungstätigkeiten. Allgemein bekannt ist dieses Phänomen mit dem Begriff „Gushing“, welcher sich von dem englischen Verb „to gush (out)“ herleiten lässt. Die deutsche Übersetzung lautet dabei „heraussprudeln, herausschießen“. Unter einem „gushenden“ Getränk wird immer das spontane Überschäumen eines CO2-haltigen Getränks verstanden, wenn dieses einer plötzlichen Druckentlastung unterzogen wird. Hierbei dürfen keine mechanischen, äußeren Einflüsse, beispielsweise ein Schütteln oder Stoßen der Flasche, auf das Getränk gewirkt haben. Das Phänomen konnte bisher bei Bier, Schaumweinen, Limonaden, Fruchtschorlen und Mineralwässern beobachtet werden [2, 3]. Es ist bekannt, dass Gushing ein multikausales Problem ist und nur dann erfassbar wird, wenn neben den Einzelursachen auch deren komplexes Zusammenspiel verstanden wird. Diese Schwierigkeit wird schon beim Bier ersichtlich, bei dem in das primäre Gushing (überwiegend rohstoffbedingt) und das sekundäre Gushing (überwiegend technologisch bedingt) mit vielen Einzelursachen unterschieden wird.

Zur Analyse des Gushingpotentials wurden bereits einige Methoden entwickelt, allerdings sind diese oft sehr aufwändig oder wenig reproduzierbar. Eine Methode, die zuverlässig über alle Produktionsstufen hinweg das Gushingpotential erfasst, existiert nicht. Gleiches gilt für entsprechende Prädiktionsmodelle, deren Entwicklung aufgrund der Multikausalität beim Gushing eine Herausforderung darstellt.

Physikalischer Ansatz zur Bestimmung des Gushingpotentials

Gerade diese multikausalen Aspekte werden in aktuellen Forschungsarbeiten des Lehrstuhls für Brau- und Getränketechnologie adressiert. Im Gegensatz zu vielen bisherigen Forschungsvorhaben wird hier ein physikalischer Ansatz zur Bestimmung des Gushingpotentials verfolgt. Hauptziel ist der Aufbau und die Automatisierung einer Blasenmesszelle, welche mit der zu testenden Flüssigkeit befüllt werden kann. Mit einer High-Speed-Kamera und einem in die Zelle eingelassenen Schauglas können die Geschehnisse während der Spontanentlastung sowie bei der Injektion von Einzelblasen hochaufgelöst beobachtet werden. Mit entsprechender Bildanalyse werden physikalische Parameter abgeleitet und damit eine breite Datenbasis zur Evaluation des Gushingeffekts bereitgestellt.

In diesem Artikel werden zunächst das aufgebaute Setup sowie die neue Messmethode vorgestellt. Anschließend werden die messbaren physikalischen Parameter charakterisiert und die entsprechenden Hintergründe beim Gushing illustriert. Momentan finden zahlreiche Versuchsreihen zu dieser Thematik statt. Ein Hauptziel hierbei ist es, über alle Produktionsschritte hinweg, also vom Gerstenkorn bis zum filtrierten Bier, das Gushingpotential mit dieser Analysemethode messbar zu machen (s. Abb. 1). Mithilfe einer Anstechapparatur können darüber hinaus auch Flascheninhalte in die Zelle überführt werden. Die Ergebnisse werden nach Abschluss der Versuchsreihen mit Hilfe einer multivariaten Datenanalyse beurteilt und zur Bildung eines Prädiktionsmodells für das Gushingpotential genutzt.

Abb. 1  Das Forschungsvorhaben im Überblick

Abb. 1  Das Forschungsvorhaben im Überblick

Ursachen des Gasblasenwachstums

Mittlerweile bestehen unterschiedliche Hypothesen, wann und warum ein karbonisiertes Getränk „gusht“. Hierbei werden vor allem die Theorie der „schnell wachsenden Mikroblasen“ (aufgrund eines kritischen Blasendurchmessers) und die der „Nanobombs“ - also der zerreißenden Mikroblasen - als wahrscheinlich angenommen [5]. Makroskopisch gesehen entwickelt sich beim Gushing eine Vielzahl an Blasen, die ein verstärktes Blasenwachstum aufweisen und durch diese Volumenänderung ein starkes Überschäumen durch Blasenauftrieb zur Folge haben. Durch das rasche Entstehen einer Vielzahl von Blasen entstehen Verwirbelungen im Getränk, die mit der Erzeugung weiterer Blasen eine Kettenreaktion in Gang setzen. Zusätzlich begünstigt der Flaschenhals als Engstelle ein starkes Überschäumen. Bei all diesen Beobachtungen kann festgehalten werden, dass stabile Blasen und deren zahlreiches, unkontrollierbares Entstehen bei einer plötzlichen Druckentlastung die Schlüsselursache darstellen müssen.

Eine entscheidende Rolle bei Blasenwachstum und -stabilität spielt vor allem die Außenhaut einer CO2-Blase. Diese kann durch oberflächenaktive Substanzen (z.B. Hydrophobine oder spezifische Lipidtransferproteine durch Fusarienbefall) so verändert sein, dass ein rasches Anwachsen der Blase durch Zufuhr von CO2 aus dem Getränk stark begünstigt wird. Aber auch die Entstehungsmechanismen müssen in die Betrachtungen einbezogen werden. Beim Gushing wird von einer Blasenentstehung aus Blasenkeimen ausgegangen. Basierend auf den Erkenntnissen von Jones et al. [4] und Ryan et al. [6] ist dies beim Gushing die wahrscheinlichste Ursache. So gelangen beispielweise Mikroblasen aus dem Flaschenkopfraum in das Getränk und haften als sogenannte Gasreste an rauen Oberflächen sowie wie im Getränk befindlichen Partikeln (z.B. an Caliumoxalat oder Hopfenresten) an. Diese Gasreste bilden schließlich Keimzellen für das Wachstum stabiler Blase (s. Abb. 2). Mikroblasen, die hauptsächlich als Gushingverursacher gesehen werden, liegen zudem – stabilisiert durch die oberflächenaktiven Substanzen – über einen nahezu unbegrenzten Zeitraum im Getränk vor [5]. Derart stabilisierte Blasenkeime warten nur auf ein Aktivwerden durch das Öffnen der Flasche.

Versuchsapparatur

Die entwickelte Versuchsapparatur besteht aus einer Messzelle, die den Kopfraum einer Flasche simuliert. Hierbei wird die Zelle stets so befüllt, dass ein Zweiphasen-System, bestehend aus der zu testenden Flüssigkeit und einem Gasraum bestehend aus CO2, entsteht. Über eine stationäre Gasversorgung und Druckminderer kann der Druck in der Zelle adjustiert werden. Mit entsprechenden Sensoren werden dieser Druck und die Temperatur in der Zelle gemessen. Die Messzelle ist mit zwei Systemen zur Erzeugung von Gasblasen ausgestattet. Diese Systeme sind in die vordere Abdeckung integriert. Das erste umfasst zwei eingelassene Kapillaren durch welche eine definierte Menge an CO2 in die Messflüssigkeit injiziert werden kann. Auch hier wird der Injektionsdruck gemessen, um den Differenzdruck zwischen Blase und Flüssigkeit bestimmen zu können. Ziel dieser Variante ist es, gezielt Blasen in das Medium unter Druck einzubringen und deren Verhalten in der Flüssigkeit bestimmen zu können. Zusätzlich ist es hier auch möglich das Verhalten von zwei aufeinandertreffenden Blasen zu beobachten (z.B. Koaleszenz - „Blasenverschmelzung“). Das zweite System umfasst einen Gaseinlass sowie -auslass, der mit einem Kugelventil verbunden ist. Über dieses ist die Simulation einer spontanen Druckentlastung möglich. In die Abdeckung ist je ein druckbeständiges Schauglas eingelassen, durch das eine High-Speed-Kamera die Entstehung der Gasblasen aufnimmt. Die Kamera verfügt über ein Objektiv mit 20-fachem Vergrößerungsfaktor und bei den Versuchen werden Bildraten von bis zu 1000 Bilder pro Sekunde genutzt. Eine schematische Zeichnung des Versuchsstandes sowie eine Abbildung einer gemessenen Blase sind in Abbildung 3 dargestellt. Ein eigens für diesen Zweck programmierter Algorithmus analysiert die Bilder und ermittelt über die Aufnahmezeit t folgende Parameter:

  • Blasenradius r(t)
  • Aufstiegsgeschwindigkeit der Blase(n) v(t)
  • Aufstiegsbeschleunigung der Blase(n) a(t)
  • Koordinaten der Blase im Testmedium x(t) und y(t)
  • Zurückgelegte Strecke der Blase im Testmedium s(t)

Zudem werden die Temperatur T(t), der Differenzdruck ∆p zwischen Testmedium und Kapillare, die CO2-Konzentration cFluid im Testmedium und die Masse-CO2 mCO2, welche durch die Kapillare einströmt, erfasst.

Bestimmung des Stoffübergangskoeffizienten

Die Stabilisierung von Blasen in Flüssigkeiten ist Gegenstand vieler Forschungsprojekte. Bei Betrachtung einer reinen, unkarbonisierten Flüssigkeit schrumpft eine Blase aufgrund des höheren Innendrucks im Vergleich zum umgebenden Medium so lange, bis sie sich auflöst. Bei karbonisierten Getränken hingegen diffundiert so lange Gas in die Blase, bis ein Druck-Gleichgewicht erreicht ist. Diese Gasdiffusion in die Blase (und auch heraus) kann durch den Stoffübergangskoeffizient β charakterisiert werden (siehe Gleichung 1) [7]:

Gleichung 1

Dimensionsanalytische Berechnungen im Rahmen dieses Forschungsprojektes haben gezeigt, dass die Blasen in Bier kugelförmig vorliegen. Aus dieser Schlussfolgerung kann der Massenstrom m mit dem Radius über die Zeit r(t) bestimmt werden. Gleiches gilt für die Austauschfläche A, welche auch aus dem Radius der Blasenkugel bestimmt werden kann. Die Konzentrationsdifferenz ∆c kann über eine Vorabmessung des CO2-Gehalts im Testmedium und der Annahme, dass in der Blase reines CO2 vorliegt, erfolgen. Die Dimension des Stoffübergangkoeffizienten kann somit Rückschlüsse auf das Gushingpotential zulassen.

Ermittlung der Oberflächenspannung

Ursprüngliche Überlegungen zu Mikroblasen beinhalteten die Annahme, dass eine Mikroblase dann stabil ist, wenn β oder ∆c den Wert Null annehmen. Das würde bedeuten, dass entweder eine gasundurchlässige Barriere der Blasenhaut und/oder die gleiche Gaskonzentration im Testmedium und im Blaseninnerem (Konzentrationsgleichgewicht) vorliegen [10]. Mittlerweile wird aber davon ausgegangen, dass sich die Oberflächenspannung der Blasenhaut verringert. Mit der Oberflächenspannung wird die Grenzflächenspannung zwischen der gasförmigen und flüssigen Phase verstanden. Bei einer Deformation der Blase würde die Oberflächenspannung soweit verringert werden, dass wieder ein Druckgleichgewicht entsteht und ein stabile Blase resultiert [11]. Die Oberflächenspannung σ wird von der Young-Laplace-Gleichung (Gleichung 2) abgeleitet, da bei den Untersuchungen in der Messzelle der Radius r und die Druckdifferenz ∆p erfasst werden [12]:

Gleichung 2

Zwar ist die reine Betrachtung der Oberflächenspannung nach Zapf [13] oft nicht ausreichend, allerdings kann sie durchaus einen Teilaspekt zur Beurteilung des Gushingpotentials liefern.

Schlussfolgerung und Ausblick

Wie eingangs erwähnt, sind zwei Hypothesen für das rasche Blasenwachstum verbreitet. Die Erste besagt, dass eine stabile (Mikro-)Blase – gemäß des idealen Gasgesetzes – eine Volumenvergrößerung unmittelbar nach einer schlagartigen Druckentlastung erfährt. Hierbei wird das Wachstum von Blasen aus Keimen (Gasresten) ermöglicht. Die Mikroblase wird einen kurzen Moment durch die entlastungsbedingte Deformation instabil, was eine Reduktion der Oberflächenspannung zur Folge hat. Dadurch findet eine Diffusion von CO2 aus dem Testmedium in das Blaseninnere statt, was zur Volumenänderung beiträgt. Ein entscheidender Aspekt hier ist der kritische Blasendurchmesser, welcher bei gushingpositiven Medien niedriger ist. Die zweite Hypothese führt das Zerreißen von Mikroblasen durch den induzierten Wellenimpuls bei der Druckentlastung an [8, 9]. Dadurch wird Energie frei und die Bindungen zwischen CO2 und H2O werden gebrochen. Ungelöstes CO2 wird in Form von Blasen frei, welche weiter anwachsen und nach oben steigen. Beide Hypothesen haben jedoch immer grundsätzlich das plötzliche Entstehen von Blasen und ein starkes Volumenwachstum gemein. Geschehen diese Vorgänge bei einer Vielzahl von Blasen gleichzeitig, dann wird – unterstützt durch die Verengung des Flaschenhalses – ein starkes Überschäumen beobachtbar. Diese Vorgänge können mit der hier vorgestellten Methodik in Form von physikalischen Parametern (Stoffübergangskoeffizient, Oberflächenspannung, Verhalten der Blasen) charakterisiert werden. Derzeit wird ein umfangreicher Datensatz generiert, um zu untersuchen, inwiefern die optische Methode zur Prädiktion von Gushing mittels spezifischer Merkmale („Fingerprint“) für das Referenzprodukt Bier geeignet ist.

Danksagung

Das IGF-Vorhaben AiF 19660 N der Wissenschaftsförderung der Deutschen Brauwirtschaft e.V. (WiFö) wird über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

Literatur

1.  Narziß, L.; Back, W.: Abriss der Bierbrauerei, 7., aktualisierte u. erw. Aufl., 1. Nachdr. Wiley-VCH, Weinheim, 2008.
2.  Liger-Belair, G.: „The physics behind the fizz in champagne and sparkling wines“, Eur. Phys. J. Spec. Top. 201 (1): 1–88, 2012; doi: 10.1140/epjst/e2012-01528-0.
3.  Schumacher, T.: „Gushing in Fruchtsaftschorlen“, Getränkeindustrie Nr. 7, 2002.
4.  Jones, S. F.; Evans, G. M.; Galvin, K. P.: „Bubble nucleation from gas cavities – a review“, Advances in Colloid and Interface Science 80 (1): 27–50, 1999; doi: 10.1016/S0001-8686(98)00074-8.
5.  Franke, D.; Pahl, M. H.: „Theorie zur Existenz von Mikroblasen in Getränken“, Brauwelt 38/39, 1995; S. 1944-1949.
6.  Ryan, W. L.; Hemmingsen, E. A.: „Bubble Formation in Water at Smooth Hydrophobic Surfaces“, Journal of Colloid and Interface Science 157 (2), 1993, S. 312–317; doi: 10.1006/jcis.1993.1191.
7.  Baehr, H. D.; Stephan, K.: Wärme- und Stoffübertragung: Mit zahlreichen Tabellen sowie 62 Beispielen und 94 Aufgaben, 7., neu bearb. Aufl. Springer-Verlag Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg, 2010.
8.  Deckers, S. M.; Venken, T.; Khalesi, M.; et al.: „Combined Modeling and Biophysical Characterisation of CO2 Interaction with Class II Hydrophobins: New Insight into the Mechanism Underpinning Primary Gushing“, Journal of the American Society of Brewing Chemists 70(4) 2018, S. 249-256; doi: 10.1094/ASBCJ-2012-0905-01.
9.  Khalesi, M.; Deckers, S., Riveros-Galan, D., et al.: „Upgraded Model of Primary Gushing: From Nanobubble Formation until Liquid Expulsion“, Journal of the American Society of Brewing Chemists 73(4), 2018, S. 343-346; doi: 10.1094/ASBCJ-2015-0929-01.
10.  Fox, F. E.; Herzfeld, K. F.: „Gas Bubbles with Organic Skin as Cavitation Nuclei“, The Journal of the Acoustical Society of America 26 (6), 1954, S. 984-989; doi: 10.1121/1.1907466.
11.  Yount, D. E.: „On the evolution, generation, and regeneration of gas cavitation nuclei“, The Journal of the Acoustical Society of America 71 (6), 1982, S. 1473–1481; doi: 10.1121/1.387845.
12.  Schwuger, M. J.; Findenegg, G. H.: Lehrbuch der Grenzflächenchemie: 10 Tabellen, Wiley-VCH, Stuttgart, 1996.
13.  Zapf, M. W.: Charakterisierung oberflächenaktiver Proteine aus Fusarium spp. und deren Einfluss auf die Blasenstabilisierung in Bier,  Dissertation, Technische Universität München, 2006.

Kopfbild (ganz oben) Die entwickelte Versuchsapparatur (entspricht Abb. 3)
Artikelbild (oben) Exemplarische Darstellung von haftenden Gasresten an Partikeln im Medium oder rauen Oberflächen (enspricht Abb. 2)

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