Grut – das immer noch unbekannte Element der Bierbereitung

Mittelalterliche Brauzutat

Grut – das immer noch unbekannte Element der Bierbereitung
AutorInstitution
Dr. Martin ZarnkowForschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität, TUM
Prof. Franz Meußdoerffer (†) Breitenbrunn
Prof. Fritz JacobForschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität, TUM
Datum 30. Oktober 2019
Ausgabe4
Jahrgang87
Seitenzahl153-155

Die Begriffe „Grut“, „Gruit“, „Gruyt“ usw. waren in offiziellen Dokumenten über 600 Jahre lang mit dem Brauvorgang assoziiert. Umso erstaunlicher ist, dass bis heute nicht vollständig klar ist, was damit eigentlich präzise gemeint war. Zuallererst muss die Verwendung des Begriffs nach Region und nach Zeitalter unterschieden werden. Eines ist sicher, dass er nicht der Begriff ist für mittelalterliches Bier im Allgemeinen! Es war eine Ingredienz, um ein spezielles Bier herzustellen, nach einer speziellen Technologie.

Regionale Zuordnung

Interessant ist, dass Grut synonym verwendet wurde für spezielle Braulehen und deren Finanzwirtschaft. Die Grutregion erstreckte sich von den niederen Landen nördlich der Ardennen, die Eifel, dem rheinischen Schiefergebirge und Teutoburger Wald zwischen den Flüssen Maas und Ems. Dies entsprach politisch gesehen weitgehend der kirchlichen Provinz von Köln (Rheinprovinz) mit der Erzdiözese Köln und den Diözesen von Cambrai, Liege, Minden, Münster, Osnabrück und Utrecht. Nach unserer Kenntnis wird Grut erstmals im späten 10. und frühen 11. Jahrhundert in Urkunden sächsischer Herrscher erwähnt, die königliche Besitzungen und Rechte an Bischöfe überliefern, sowie in fortlaufenden bischöflichen Dokumenten. Die beteiligten Bistümer (Köln, Lüttich, Metz und Utrecht) liegen in Lothringen, der Region, die zwischen dem ost- (deutschen) und dem westfränkischen Königreich heftig umkämpft ist. So könnte Grut vielleicht aus Lothringen stammen.

Brauen im Mittelalter

Im sogenannten Mittelalter begannen sich die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für das Bierbrauen teils radikal zu ändern und mit ihnen auch die Malz- und Brauereitechnik. Zum einen steigerte die Entdeckung von Silbervorkommen im Harz und im Erzgebirge die Geldmenge und beendete damit die Tauschwirtschaft, zum anderen endete die Einführung fortschrittlicher Agrartechnologien mit verbesserten Erträgen. Dazu bot die zunehmende Verstädterung Anreize für die kommerzielle Produktion von schmeckendem und stabilem Bier. Die Region Grut gehörte zu den europäischen Regionen, die am meisten von diesen Entwicklungen profitierten. Wie sie auch heute noch zu den wirtschaftlich stärksten Regionen der Welt zählt.

Versuchsansatz

Unabhängig von der Frage, was präzise Grut war, wie und wo es im Brauprozess eingesetzt wurde und ob es z.B. neben Extrakt auch Fermentationsmikroorganismen beinhaltete, wurde ein Aspekt immer wieder berichtet: Verschiedene Gewürze waren Inhalt des Grut (siehe Tab. 1). Im Rahmen dieser Arbeit wurden drei von ihnen auf ihre selektive Wirkung auf verschiedene typische Hefen beurteilt. Die Auswahl erfolgte aufgrund alter Dokumente, wobei die Bezeichnungen für die Pflanzen bzw. Gewürze nicht immer zweifelsfrei einer Art zugerechnet werden können. So kann das, was z.B. in Grut-bezogenen Texten als Siler Montanum, Scherpentangen, Scharpetangen oder Sermentangen Laserkraut bezeichnet wird, entweder eine Seseli-Art oder – wie viele zeitgenössische Autoren behaupten – Laserpitium siler sein. Das sind jedoch verschiedene Pflanzen.

Die Wahl fiel auf Gagel, Sumpfporst und Schafgarbe. Es wurden ungehopfte Gerstenmalzwürzen hergestellt. Diese dann eine Stunde lang mit einer der drei Pflanzen (bestehend aus verschiedenen kommerziell erhältlichen Pflanzenbestandteilen) auf 12°P gekocht. Die anschließend auf 14°C gekühlte und belüftete Würze wurde mit je 5 Mio Hefezellen/ml angestellt. Es wurde mit den typischen Hefen für die Biersorten Pils, Alt, Kölsch, bayerisches Weizenbier und Ale angestellt. Die Aufzeichnung der Gärung erfolgte über vier Tage, wobei Alkoholbildung und Hefevermehrung besonders im Fokus standen.

Zuerst wurde jedoch der mikrobielle Besatz der eingesetzten Pflanzenbestandteile untersucht. Das Ergebnis aus Tabelle 2 zeigt, dass der verwendete Gagel und teilweise der Sumpfporst wenig Besatz hatten und quasi eine Hemmung durch deren Inhaltsstoffe vorliegen musste.

Tabelle 3 zeigt eine Auflistung verschiedener Substanzen aus dem Gagel, die je nach Herkunftsregion große Unterschiede im Gehalt aufweisen können. Diese Inhaltsstoffe zeigen sehr unterschiedliche physiologische Aktivitäten. Dies muss man natürlich berücksichtigen, wenn man Grut historisch näher eingrenzen möchte.

Gärungsverlauf

Die Fermentationen aller Hefen verliefen in unterschiedlicher Weise, jedoch kamen alle Hefen mit allen Gewürzen insoweit zurecht, als dass sie sich durchaus vermehrt haben und auch Alkohol bildeten. Dargestellt sind in Abbildung 1 nur die Verläufe der Kölsch-, Altbier- und Weizenbierhefe. Die Abbildung zeigt den Verlauf der Hefezellzahlen über die ersten vier Tage.

Alle Hefen vermehrten sich. Deutlich wurde jedoch, dass der Gagel die Zellzahlen der Altbierhefe und die Weizenbierhefe langsamer ansteigen ließ. Nicht so die Kölschhefe, die mit Gagel wie auch mit Sumpfporst nach einer kurzen Adaption eine hohe Vermehrungsrate aufwies. Der Hopfen beeinflusste bei allen Hefen die Vermehrung nicht stark, gefolgt von der Schafgarbe. Mit Sumpfporst konnten sich die Kölsch- und Altbierhefen gut vermehren, jedoch nicht die Weizenbierhefe. Bei dieser war eine Selektivität am deutlichsten zu erkennen. Die Bildung von Alkohol über den Versuchszeitraum ist in der Abbildung 2 aufgeführt.

Interessant war zu sehen, dass die Hefen auf gehopften Würzen sehr unterschiedlich reagierten. Die Weizenbierhefe produzierte im gleichen Zeitraum dreimal so viel Alkohol wie die Kölschhefe (hatte auch etwas mehr Hefezellen). Die Hefen in den Würzen mit Sumpfporst erzeugten vergleichbar niedrige Alkoholgehalte, die nur von den Hefen in den Würzen mit Gagel unterboten wurden. Besonders auffällig war, dass mit Schafgarbe die höchsten Gehalte an Alkohol durch die Kölsch- und Altbierhefe gebildet wurden. Interessant insofern, da berichtet wird, dass bestimmte Pflanzen ein Bier „berauschender“ machten. Möglicherweise ein Hinweis auf solche Pflanzen.

Zusammenfassung

Der Begriff Grut bezeichnet bis heute nicht vollständig geklärtes Element der Bierbereitung. Es ist jedoch nicht der Inbegriff der mittelalterlichen Bierherstellung. Er kam in einer Zeit auf, die zum Teil radikale Umwälzungen im Braubereich mit sich brachte (Kochung, Hopfen, Gerstenmalz usw.). Die Ergebnisse dieser Versuche konnten zeigen, dass Zusätze von mittelalterlichen Bierpflanzen sich unterschiedlich auf Kölsch-, Altbier- und Weißbierhefen auswirken. Die Kölschhefe wird – anders als die Altbierhefe – durch Gagel nicht im Wachstum gehemmt. Beide Hefen wachsen gut in Gegenwart von Sumpfporst. Die Weizenbierhefe wird durch Hopfen nicht beeinträchtigt, aber durch Gagel und Sumpfporst im Wachstum gehemmt.

Wenn man bedenkt, dass Grut auch ein Inokulum hätte sein können, wird dies dadurch verstärkt, dass die Besiedlung bestimmter Pflanzen durch Hefen selektiv geschieht. Daher kann die mittelalterliche Verwendung von Pflanzenpräparaten (Eiche, Gagel, Porst usw.) als „fermentum“ durchaus sinnvoll gewesen sein. Die zur Grut und als Bierwürze gebrauchten Pflanzen haben einen Einfluss auf die lokale Bierkultur und wirken vielleicht bis heute fort.

Literatur

Verberg, S., 2018: The Rise and Fall of Gruit; https://www.academia.edu/35704222/The_Rise_and_Fall_of_Gruit.
Svoboda, K. P.; Inglis. A.; Hampson, J.; Galambosi, B.; Asakawa, Y.: „Biomass production, essential oil yield and composition of Myrica gale L. harvested from wild populations in Scotland and Finland“; Flavour Fragr. J. 1998, 13, S. 367–372.
Jaenson, T. G.; Pålsson, K.; Borg-Karlson, A. K.: „Evaluation of extracts and oils of tick-repellent plants from Sweden“; Med Vet Entomol. 2005, 19 (4), S. 345–52.
Popovici, J.; Bertrand, C.; Bagnarol, E.; Fernandez, M. P.; Comte, G.: „Chemical composition of essential oil and headspace-solid microextracts from fruits of Myrica gale L. and antifungal activity“; Natural Product Research, 2008, S. 1024– 1032.
Meußdoerffer, F.; Zarnkow, M.: Das Bier. Eine Geschichte von Hopfen und Malz; Beck, München 2014.

Downloads

NameDatei
Grut - das immer noch unbekannte Element der Bierbereitung Download