Pichia apotheca

Das Potential der unbekannten Hefe für die Mischfermentation

Pichia apotheca
AutorInstitution
Kai BüchnerLehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, TUM
Roland KerpesLehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, TUM
Prof. Thomas BeckerLehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, TUM
Datum 13. Juni 2019
Ausgabe2
Jahrgang87
Seitenzahl84-86

Die Craft-Bier-Bewegung bringt zunehmend spontanvergorene Bierstile in den Fokus der internationalen Brauerei-Szene. Solche Biere zeigen eine komplexe Aromenvielfalt, die durch die Fermentation mit einer Vielzahl von Organismen entsteht. Eine Möglichkeit bietet die Nutzung unterschiedlicher Hefen zur Vergärung eines Sudes, auch als Mischfermentation bezeichnet. Diesen Umstand nutzte im Jahr 2018 eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler um Caiti S. Heil [1] in einer Anwendungsstudie, in der die Wirksamkeit der Hi-C-Methode zur Identifikation einzelner Mikroorganismen in einer komplexen Mikroflora gezeigt werden sollte. Bei Hi-C handelt es sich um eine bioinformatische Methode zur Bestimmung genetischer Interaktionen von Chromosomen, die genutzt werden kann, um aus genetischen Sequenzgemischen einzelne Genome zu rekonstruieren und damit die Mikroorganismen zu identifizieren.

Entdeckung Pichia apotheca

Für den Nachweis der Einsatzfähigkeit dieser Technik untersuchten sie das spontanvergorene Bier einer amerikanischen Brauerei, das seit mehreren Jahren in einem alten Lagerhaus als offene Bottichgärung nach dem Drauflassverfahren geführt wurde. Die natürlich entstandene, komplexe Mikroflora konnte anhand der identifizierten Gensequenzen in einzelne Arten und Stämme aufgeschlüsselt werden. Neben den erwarteten Hefen wie Saccharomyces cerevisiae, Pichia membranefaciens oder Dekkera bruxellensis fiel ein Stamm auf, der sich keiner der bekannten Arten zweifelsfrei zuordnen ließ. Stattdessen erschien er als Arthybride aus Pichia membranefaciens und einer verwandten, aber bislang unbeschriebenen Hefe. Nach dem Standort des Gärgefäßes wurde der neu entdeckte Organismus Pichia apotheca (apo­theca = lat. Lagerhaus) getauft. In Folgeversuchen konnte P. apotheca durch Heil et al. aus dem spontanvergorenen Bier isoliert und die Lebensfähigkeit der Hefe in einer nicht gehopften Würze von 14°P nachgewiesen werden [1]. Dadurch wurde die Möglichkeit eines zufälligen Fehlers bei der Zuordnung der Gensequenzen und damit einer falsch-positiven Zuordnung des Stammes minimiert und P. apotheca stand für weiterführende Untersuchungen zur Verfügung.

Wachstumsverhalten

Diese Untersuchungen wurden am Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie durchgeführt. Dabei wurde zu diesem Zweck zuerst ein Hefespektrum aufgenommen, bei dem ein Standardmedium (0,67 GV-% Yeast Nitrogen Base) mit verschiedenen Kohlenstoffquellen versetzt wurde. Neben Einfachzuckern wie Glukose, Galactose, und Sorbose wurden dabei auch brauereitypische Kohlenstoffquellen wie Saccharose, Maltose, Stärke und Ethanol auf ihre Verwertung durch P. apotheca getestet. Die Hefe wuchs dabei nur in den Medien, die jeweils mit Glukose, Ethanol, Saccharose oder Sorbose versetzt worden waren. Andere in Würze vorkommende Zucker, wie Maltose oder Arabinose, wurden nicht in einem ausreichenden Maß verstoffwechselt, um eine signifikante Steigerung der Zellzahl zu ermöglichen. Weiterhin bildeten die Kulturen, die in Medien mit einer der vier verstoffwechselten Kohlenstoffquellen überimpft worden waren, eine Kahmhaut an der Flüssigkeitsoberfläche (Abb. 1). Dies konnte als erstes Indiz dafür angesehen werden, dass Pichia apotheca eine reine Atmungshefe ist. Bestätigt werden konnte die Beobachtung durch Gärversuche mit Durham-Röhrchen, in denen Gärungsaktivität durch die Bildung von Gasblasen nachgewiesen werden kann. Als Medium diente wiederum, ähnlich den Wachstumstests, eine 0,5-prozentige Hefeextraktlösung mit dem Zusatz der genannten Kohlenstoffquellen. Auch hier ließ sich die Bildung einer Kahmhaut beobachten, eine Gasbildung fand dagegen bei keiner der verwendeten Kohlenstoffquellen statt. Diese Ergebnisse legen nahe, dass Pichia apotheca als Atmungshefe angesehen werden kann.

Toleranz gegenüber Stressoren

Nachdem das Wachstum von P. apotheca auf Basis von würze- und biertypischen Kohlenstoffquellen gezeigt werden konnte, wurde im Folgenden die Toleranz der Hefe gegenüber unterschiedlichen brauereirelevanten Stressoren betrachtet. Um für diese Versuche definierte, aber auch praxisnahe Bedingungen zu schaffen, wurde eine synthetische Würze verwendet [2]. Darin wurde das Wachstumsverhalten von P. apotheca unter Einfluss der Faktoren Würzekonzentration, Ethanolkonzentration, Gehalt an Hopfenbitterstoffen sowie Gärungstemperatur untersucht. Bei der Festlegung der Faktorstufen dienten praxistypische Werte als Orientierung (Tab. 1).

Zur Minimierung des Versuchs­aufwandes bei gleichzeitiger verlässlicher statistischer Aussagekraft wurden die verschiedenen Faktorstufen gemäß eines Design of Experiments-Ansatzes miteinander kombiniert. In allen Kombinationen der untersuchten Faktoren zeigte die Hefe Wachstum, was sich insbesondere an der Ausbildung einer Kahmhaut an der Flüssigkeitsoberfläche erkennen ließ. Die Feststellung der Bandbreite möglicher Wachstumsparameter und die Toleranz gegenüber Stressoren wie Iso-α-Säure bis 30 IBU, Ethanolgehalte von 5 Vol.-% und Würzekonzentrationen bis zu 14°P unter Brauereibedingungen zeigte die potenzielle Verwendbarkeit dieser Hefe.

Evaluierung Gärungsnebenprodukte

Um jedoch ein mögliches Einsatzgebiet zu klären, musste neben dem reinen Wachstumsverhalten auch die Bildung aromagebender Gärungsnebenprodukte evaluiert werden. Um ein Maximum an metabolischer Aktivität zu erreichen, wurden diese Versuche in einer Schüttelkultur bei 30°C durchgeführt. Als Substrat diente ein alkoholfreies Bier, das als gestoppter Gärer hergestellt worden war. Neben dem beimpften Schüttelkolben wurden, ebenfalls im Triplikat, nicht inokulierte Proben (Nullprobe) parallel geschüttelt. Sie dienten als Vergleichsproben, um etwaige Änderungen des Aromaprofils zweifelsfrei der Aktivität von P. apotheca zuordnen und von Oxidationsvorgängen im Bier unterscheiden zu können. Die Analyse der Proben erfolgte nach 48-stündiger aerober Fermentation über eine olfaktorische GC-MS mit Festphasen-Mikroextraktion. Die Ergebnisse der Analysen sind in Abbildung 2 dargestellt. Im Vergleich zu einer frischen Probe zeigte das geschüttelte Bier ohne P. apotheca keine wahrnehmbaren Gehalte an blumigem Ester 3-Methyl­butylacetat, auch der Alkohol 3-Methylbutanol war auf ein olfaktorisch nicht wahrnehmbares Maß reduziert worden. Aldehyde wie Phenylethanal oder auch Methional waren sowohl in der frischen als auch in der geschüttelten, nicht beimpften Probe wahrnehmbar präsent.

Der Vergleich mit der geschüttelten Probe, die mit P. apotheca beimpft worden war, zeigte dagegen ein stark abweichendes Bild: Während der Damascenon-Gehalt in allen Versuchsanordnungen in ähnlichen Größenbereichen lag, waren in diesem Ansatz keine Aldehyde mehr erkennbar. Stattdessen konnte 3-Methylbuttersäure deutlich wahrgenommen werden, auch das rosenartige Phenylethanol war distinkt erkennbar. Das sich aus diesen Beobachtungen ergebende Gesamtbild deutet auf eine verminderte Gesamtmenge von Streckeraldehyden hin. Diese Verbindungen stellen maßgebliche Komponenten des Alterungsgeschmacks von Bier dar, geringere Mengen gehen somit mit einer besseren Geschmacksstabilität einher. Ihre Bildung wird mit der Oxidation des Bieres in Zusammenhang gebracht [3]. In der mit Hefe beimpften Probe wurden die Aldehyde jedoch zu ihren korrespondierenden Alkoholen reduziert. Dieser Vorgang ist auch aus gealterten Bieren bekannt, die erneut mit S. cerevisiae fermentiert wurden [4]. Analog zu diesen Untersuchungen ist die Verringerung der Streckeraldehyde trotz der Sauerstoffbelastung im Schüttelkolben der metabolischen Aktivität von P. apotheca zuzurechnen.

Verhalten in Mischkultur mit S. cerevisiae

Abschließend wurde das Verhalten von P. apotheca in Mischkultur mit S. cerevisiae untersucht. Hierzu wurde eine helle Vollbierwürze mit verschiedenen Zellzahlen beider Hefen beimpft, neben den Reinkulturen von P. apotheca (8×106 Zellen/ml) und S. cerevisiae (4×106 Zellen/ml) wurden zwei Mischkulturen erstellt. Diese bestanden aus S. cerevisiae (4×106 Zellen/ml) und P. apotheca (4×106 Zellen/ml) im Verhältnis 1 : 1 sowie im Verhältnis 1 : 2 mit Zellzahlen von 8×106 Zellen/ml bei der Atmungshefe. Diese Mischkulturen wurden sowohl bei 18°C als auch bei 24°C angestellt und nach einer Gärdauer von 72 h geschlaucht. Weder bei der Abnahme des pH-Wertes noch bei der Abnahme des Extraktes ergaben sich signifikante Unterschiede zwischen der S. cerevisiae-Reinkultur und den beiden Mischfermentationen. In der P. apotheca-Reinkultur konnte dagegen keine Abnahme des pH-Wertes und des Extraktgehaltes im Vergleich zur unbeimpften Würze festgestellt werden. Die Probe unterschied sich daher signifikant von den anderen Ansätzen. Die gaschromatographische Untersuchung der volatilen Aromen aus Rein- und Mischkulturen ergab ein eindeutiges Bild, wonach es bei der Mischkultur zu einer Steigerung sowohl des Gehaltes an Essigsäure als auch ihrer Ester kam. Dabei stieg der Gehalt an Essigsäure in der Mischkultur mit dem Zellzahlverhältnis 1 : 2 um das Dreifache verglichen mit der S. cerevisiae-Reinkultur. Die relative Häufigkeit von Isobutyl­acetat in dieser Mischkultur verzehnfachte sich sogar. Dies deutet auf eine Veratmung des von S. cerevisiae gebildeten Ethanols zu Essigsäure hin. Hingegen zeigten sich in den Proben, die mit P. apotheca beimpft worden waren, deutlich erhöhte Gehalte an Phenylethanol. Dieser Aromastoff trat in den Fermentationen mit der Hefe so eindeutig auf, dass er als Hauptkomponente ­ihres aromagebenden Volatiloms betrachtet werden kann.

Stressreaktionen in Mischkultur

Neben den offensichtlichen Kennzahlen der Gärungsleistung kann es in mikrobiellen Gemeinschaften zu Stressreaktionen kommen, die durch die Co-Kultur verursacht werden. Gründe hierfür können beispielsweise Konkurrenz um knappe Ressourcen oder toxische Stoffwechselprodukte sein. Um einen genaueren Einblick in den Status der Mischkulturen zu erhalten, wurde mit Hilfe der quantitativen Polymerase-Kettenreaktion die Expression von Genen in S. cerevisiae betrachtet, die mit Zellstress in Zusammenhang stehen. Der klassische, im Brauwesen für die Erkennung von Zellstress genutzte Marker ist das Hitzeschockprotein HSP104, dessen Aktivierung durch Stressfaktoren wie Temperaturänderungen oder Ethanol induziert wird [5]. Ein weiterer Stressreaktionsmechanismus, die sogenannte „Unfolded Protein Response“ (UPR), greift als komplexer Stoffwechselweg in die Proteinproduktion der Zelle ein, sobald Stress durch falsch- oder ungefaltete Proteine verursacht wird. Dies sichert letztlich das Überleben der Hefezelle [6]. Als Mediator der UPR dient das Gen HAC1, das nach Erkennen von Faltungsfehlern in Proteinen die Reaktion der Zelle einleitet. Die Betrachtung der Expressionsänderung beider Proteine erlaubt daher Einblicke in den Stress-Status der Hefezelle aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Daneben wurde die Expression der Gene ATF1, das an der Bildung von Acetat-Estern beteiligt ist, und ADH1, dem Schlüsselenzym der Alkoholbildung, untersucht. Der Vergleich der Expression zwischen S. cerevisiae in Reinkultur und der Mischkultur im Verhältnis 1 : 2 zeigte, dass die Gene ADH1 und HSP104 nicht signifikant beeinflusst wurden (Abb. 3). Das Gen ATF1 zeigt eine 0,5-fach höhere Expression in der Mischkultur, die jedoch durch die hohe Va­rianz zwischen den Fermenta­tionen nicht als signifikant zu betrachten ist. Das Gen HAC1 zeigte dagegen eine vierfach schwächere Aktivität in der Misch­kultur als in der S. cerevisiae-Reinkultur. Dies deutet auf eine geringere Stressbelastung von S. cerevisiae in der Mischkultur hin. Gerade im Hinblick auf eine mehrfache Führung der Hefe bietet eine solche Stressreduktion interessante Forschungsansätze.

Zusammenfassung

Die neu entdeckte Arthybride Pichia apotheca zeigt ein hohes Potential für die Nutzung in Mischkulturen. So konnte der Stamm neben der Veratmung von Ethanol und der damit zusammenhängenden stärkeren Ausprägung aromagebender Ester in ersten Versuchen auch die Bildung von Alterungsaromen sowie den Zellstress, der während der Gärung auf die Hefezellen wirkt, vermindern. Die Erkenntnisse schaffen die Grundlage für den möglichen gezielten Einsatz von Pichia apotheca in der Brauindustrie.

Danksagung

Die Autoren danken Marco Garten für die Durchführung der Wachstumsexperimente und die Überlassung seiner Daten sowie des als Abbildung 1 gezeigten Bildes.

Literatur

1. Heil, C. S.; Burton, J. N.; Liachko, I.; et al.; Yeast 2018, 35 (1), 71-84; DOI: 10.1002/yea.3280
2. Sacher, B.; Weihenstephaner Hefe­symposium 2006
3. Wietstock, P. C.; Kunz, T.; Methner, F.-J.; Journal of Agricultural and Food Chemistry 2016, 64 (42), 8035-8044; DOI: 10.1021/acs.jafc.6b03502
4. Saison, D.; De Schutter, D. P.; Vanbeneden, N.; et al.; Journal of Agricultural and Food Chemistry 2010, 58 (5), 3107-3115; DOI: 10.1021/jf9037387
5. Brosnan, M. P.; Donnelly, D.; James et al.; Journal of Applied Microbiology 2000, 88 (5), 746-755; DOI: 10.1046/j.1365-2672.2000.01006.x
6. Kimata, Y.; Nguyen, T.; Kohno, K.; Stress Response Mechanisms in Fungi 2018, 161-188; ISBN 978-3-030-00682-2.

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