Untergärig auf zu neuen Ufern – Cella 1672

Untergärig auf zu neuen Ufern – Cella 1672
AutorInstitution
Sven Wagnerfreibier.CC, DiVeRs GbR, Alte Nürnberger Straße 60, 93059 Regensburg
Martin ZarnkowTU München, Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität, Alte Akademie 3, 85354 Freising
Michael Eberhardfreibier.CC, DiVeRs GbR, Alte Nürnberger Straße 60, 93059 Regensburg
Mathias HutzlerTU München, Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität, Alte Akademie 3, 85354 Freising
Datum 01. September 2022
Ausgabe3
Jahrgang90
Seitenzahl102-104

Die alte Hefe mit Ecken und Kanten

2021 beschreibt Hutzler in seiner Habilitationsschrift, dass er eine Hefe mit Hybridnatur aus einer ca. 70 Jahre alten Flasche isoliert hat [1]. Das ist bisher das älteste Hefeisolat, das am Forschungszentrum Weihenstephan für Brau und Lebensmittelqualität der TU München aus einer Flasche isoliert wurde. Die Hefe wurde als eine kältetolerante Hefe der Art Saccharomyces bayanus identifiziert. S. bayanus Hefen sind Hybride aus den Hefearten Saccharomyces eubayanus und Saccharomyces uvarum . Diese Isolate haben eine große Bedeutung, da sie in einer Flasche gefunden wurden, die einer Einschätzung von Prof. Heiner Vogelpohl zufolge wahrscheinlich aus den 50er Jahren stammt und somit 60 bis 70 Jahre alt sein könnte [2]. 

Abbildung 1: Alte Bügelverschlussflasche der Brauerei Weihenstephan, die vermutlich aus den 1950er Jahren stammt und aus der S. uvarum x S. eubayanus Hybridstämme isoliert wurden, in Gesamtansicht (links), Verschluss von oben (Mitte) und Flaschenboden von unten fotografiert (rechts)

Es wurden schriftliche Beschreibungen von Flaschen der ehemaligen Firma Heye-Glas von Prof. Franz Meußdoerffer zur Verfügung gestellt. Leider brachten diese keine genauere Datierung. Zudem wurden drei der S. uvarum x S. eubayanus Isolate weitergehend brautechnologisch untersucht und ein Stamm zur Herstellung von Bier im Pilotmaßstab genutzt. Dieser Stamm hat nun die Bezeichung S. uvarum x S. eubayanus Cella – TUM 594 (Cella steht dafür, dass er aus einem Keller, Cella lateinisch für Keller, isoliert wurde; die Flasche stammt aus einem alten Keller) Der Gäransatz in der Habilitationsarbeit von Hutzler war der erste Ansatz, bei dem mit einem S. uvarum x S. eubayanus Hybrid als Reinzuchtstamm, unter kontrollierten Bedingen, eine Biergärung durchgeführt wurde. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um eine Bierkontaminante, die sehr lange in dieser Flasche überlebt hat. Wahrscheinlich kann dieser Hybrid lebensfähige Ascosporen ausbilden, was bisher noch nicht weitergehend untersucht wurde. Vergärt man eine Standardwürze mit ca. 12 % Extrakt mit dieser Hefe resultiert ein Bier mit folgenden Aromacharakteristika:

Geruch:

• rein, angenehm leicht frisch-hefig, leichte Gewürznelke, leichte Vanille-Noten

Geschmack:

• rein, Spur Gewürznelke, sehr vollmundig, angenehm rezent, mild im Trunk bei

sanftem Abgang, Bittere mild betont

 

Zudem vergärt diese Hefe Cella TUM 594 keine Maltotriose, d. h. es resultiert ein höherer Restextrakt, der mit einer leichten Süße und einer ausgeprägten Vollmundigkeit einhergeht. Die Besonderheit dieser Hefe ist, dass sie bei kühler untergäriger Gärführung Gewürznelkennoten und Vanillenoten erzeugt. Die Überlegung der Autoren war nun, dass solche wilden untergärigen Hefen auch bei damaliger untergäriger Brauweise in den oberpfälzischen und fränkischen Bierkellern in den Mischgärungen beteiligt gewesen sein könnten. Die Hefereinzucht war im 16ten und 17ten Jahrhundert noch nicht erfunden. Diesen Überlegungen zur Folge sollte ein Bier Anno 1672 nachgebraut werden. Dieses Jahr wurde auch gewählt, da dieses Jahr im Wirkungszeitraum von Antonie van Leeuwenhoek lag, welcher schon Mikroorganismenstrukturen in seinen gebauten Mikroskopen sah, ohne zu wissen, dass es Mikroben sind. Nun brauchte das Team nur noch ein Bierrezept aus dieser Zeitperiode.

Das historische Rezept

Martin Zarnkow vom Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität der TU München recherchierte ein Bierrezept aus dem Jahr 1645, das zum Nachbrauen des historischen Bieres zum Einsatz kam: Johannes Coler bzw. Johann Coler, latinisiert Johannes Colerus, oder wie in unserem Buch Johanne Colero (1566–1639), war protestantischer Pfarrer, Laienmediziner und Buchautor. Er schrieb sogenannte Hausväterliteratur. Seine Schriften, deren Information schon von seinem Vater stammten, umfassen nicht nur landwirtschaftliche Ratschläge (zu Themen wie Fischfang, Gartenbau …) und Rezeptsammlungen (Bierbrauen, Brotbacken und Kochrezepte) sowie medikamentöse Therapien, sondern auch Verhaltensregeln. Sein Werk gibt heute einen umfassenden Überblick über das Leben vor dem Dreißigjährigen Krieg und wurde in 14 Ausgaben und auch in anderen Sprachen publiziert. Die den Autoren zugängliche Ausgabe war von 1645 mit folgendem Titelblatt (siehe Abbildung 2), welches noch keinen expliziten Hinweis auf die Bierbrauerei gibt. Die Bierbrauerei wird dort in mehreren Kapiteln abgehandelt. Sie beginnt mit dem Ackerbau der Gerste und dem Hopfen, geht über die Anlagen und die Mälzung zum eigentlichen Brauprozess bis hin zu Fehlern im Prozess und speziellen Bieren aus bestimmten Regionen. Der entscheidende Prozess ist in Abbildung 3 dargestellt. Es ist ein stückweit ein Brühmaischverfahren, welches notwendig wurde, da die Bottiche nicht extern beheizt werden konnten. Wir mussten also von geringen Vergärungsgraden und einem vollen Körper ausgehen.

Abb. 2: Titelblatt der 1645 Ausgabe der Oeconomica Ruralis et Domestica von Johanne Colero, Mainz

Abb. 3: Fließschema der Herstellung von Lagerbier aus Colero 1645.

Cella 1672, das historische, untergäriges Kellerbier (Experimentelle Brauhistorie bei Freibier.cc; Erfahrungsbericht von Wagner und Eberhard)

 

Laut dem obigen Rezept nach Colero wurde damals das Malz mit kochendem Wasser überbrüht, und dann unter Rühren mit fallenden Temperaturen ohne weiteres Heizen gemaischt. Da hat man dann als Brauer schon Bauchschmerzen, da es allem widerspricht was man denn so in Lehre und Studium gelernt hat. Aber es muss ja funktioniert haben, obwohl die Malze in der damaligen Zeit höchstwahrscheinlich um einiges enzymschwächer waren als unsere heutigen Malze. An Malzen haben wir einiges an Wiener und dunklem Malz verwendet, aber auch etwas Pilsener Malz, sowie Malz der Sorte "Steffi", zwar nicht historisch, aber doch eine etwas ältere Gerstensorte, weil wir mit den Enzymen schon auf der sicheren Seite sein wollten.

Abbildung 4: Vorderwürze nach dem Brauverfahren nach Colero 1645, die z. T. regenbogenfarbige Blasen wirft.

Beim Läutern mussten wir dann von der historischen Vorgabe abweichen, und haben nicht über Holz und Stroh abgeläutert, sondern haben dies in unserem normalen Läuterbottich erledigt, in dem wir direkt eingemaischt hatten. Ab hier mussten wir generell etwas weiter vom Original abweichen. Während in dem alten Rezept zuerst nur ein Drittel der Würze mit dem Hopfen gekocht wurde, und erst nach einiger Zeit der Rest der Würze dazugegeben wurde, haben wir gleich alles gekocht. Auch haben wir am Ende der Kochung die Würze nicht über Körbe geseiht. Der Doldenhopfen wurde in Kochsäcken mitgekocht dann entfernt und der Rest der Trübung über den Whirlpooleffekt ausgeschieden.

Der angestellte Gärtank wurde mit Raumkühlung auf 12–14 °C gehalten. Angestellt wurde bei 26 °C. Die Biertemperatur hat sich dann nach dem Anstellen auf dem „untergäriges Niveau von 12–14 °C“ eingependelt. Für die Gärung wollten wir einen alten Keller simulieren. Dazu haben wir im Vorfeld eine kleine Kühlkammer gebaut, in die genau unsere Gärtanks hineinpassen, mit einem kleinen Kühlaggregat. 

 

Wenige Tage nach Beginn der Gärung wurde das Bier dann im 17ten Jahrhundert schon ausgeschenkt, und zwar ungespundet. Damit unser Bier etwas länger haltbar ist, haben wir an die Gärung noch eine Flaschengärung angehängt, aber mit minimaler Speisegabe, damit wir mit unserem Bier noch sehr nahe am originalen ungespundeten Geschmack sind, aber die Hefe doch den verbleibenden Sauerstoff in der Flasche verbraucht, damit unser Cella eine Haltbarkeit nicht nur von ein paar wenigen Tagen hat.

Aber wie schmeckt das Ergebnis denn jetzt? Das Bier hat eine angenehme Vollmundigkeit, obwohl es von der Stammwürze her ein Schankbier ist, und mit einem extrem niedrigen Endvergärungsgrad (EVG scheinbar) von 48,8 % auch nur 2,7 vol.% Alkohol besitzt. Trotz des niedrigen EVG ist das Bier aber weder mastig noch süß. Die Cella Hefe bringt passend zu der röstaromatischen Grundlage des dunklen Malzes noch fruchtige Noten und etwas Vanille dazu. Den Beteiligten und Versuchspartner schmeckt das Ergebnis. Man ist sich allerdings einig, dass es ein eigenständiges Bier mit einem eigenständigen Aromaprofil ist. Man kann sich gut vorstellen, dass dieses Bier bei schwerer körperlicher Arbeit (z. B. Feldarbeit im 17 Jhdt.) sowohl den Durst gestillt hat, als auch durch das kräftige Aroma sehr gut geschmeckt hat und zugleich nicht zu „benebelt“ zum Arbeiten gemacht hat (wegen niedrigen Alkoholgehalt). Die Ergebnisse der Bieranalyse werden in Abbildung 5 aufgeführt.

Die sensorischen Eindrücke wurden von Zarnkow und Hutzler wie folgt festgehalten:

Schaum: wenig Haftung aber stabil

Farbe: dunkelbraun (kastanienartig)

Trübung: sehr trüb, klart nach wenigen Minuten aus

Geruch: rein, angenehm röstaromatisch, fruchtig (Kirsche), etwas Vanille

Geschmack: rein, angenehm röstaromatisch, fruchtig (Kirsche), etwas Vanille

Vollmundigkeit: voll, samtig belegend, harmonisch

Rezenz: milde Spundung

Bittere: kräftig und betont. Weitgehend harmonisch, ganz leicht nachkommend

Alles in allem ein sehr schönes Bier, dem man seinen geringen Alkohol nicht anmerkt. 

 

Jedes Bier braucht das passende Gebinde. Hierzu wurden die mikroskopischen Aufnahmen der Hefezellen der besonderen, wilden, untergärigen Hefe auf dem Etikett in stilisierte Pixelgrafik überführt. Das Logo zum Bier stellt drei Zellen der Cella TUM 594 Hefe dar.

die Hefezellen des Stammes Cella TUM 594 im mikroskopischen Bild

Das Fazit dieses Brauexperiments lautet, dass die damaligen Brauer genau wussten was sie machen und der Prozess von 1645 sehr angepasst und ausgeklügelt war und die Biere wahrscheinlich bezüglich Aroma und physiologischen Eigenschaften genau ihren Zweck erfüllten. Alte Rohstoffe und alte Rezepte können erfolgreich zur Biervielfalt und Bierkultur beitragen. Dies war ein weiterer Schritt der Autoren in die experimentelle Archeofermentation, welche uns in Zukunft noch die ein oder andere positive Bierüberraschung präsentieren wird.

 

 

[1] HUTZLER, M. (2021): Hefebiodiversität traditioneller und moderner hopfenhaltiger Bierfermentationen und deren gezielte Erweiterung über entwickelte Hefejagdmethoden, Habilitation, Fakultät 3 Prozesswissenschaften, TU Berlin

[2] VOGELPOHL, H. 21 Nov 2017 2017. RE: Einschätzung des Alters einer Bügelverschlußflasche alten der Weihenstephaner Brauerei, in der ein S. eubayanus x S. uvarum Hybrid gefunden wurde. Mündliche Mitteilung an HUTZLER, M.

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